Ein ungewöhnliches Treiben auf dem Rostocker Hauptbahnhof – ein sich weit nach Mitternacht auf dem Bahnsteig 7 aufbauendes Begrüßungskomittee, bestückt mit diversen Bannern, Winkelementen und Beschallungstechnik – sorgte am 13.11. für Aufsehen unter den wenigen verschlafenen Passanten.
Was war da los? Verspätete Heimkehr des FC Hansa nach dem verkorksten Auswärtsspiel? Ohne Bus?
Das Entrollen des Lauftreff-Banners brachte die Erleuchtung – es nahte der Regionalexpress aus Hamburg mit der Hefei-Marathon-Delegation – nach einem alles andere als verkorksten Auswärtsrennen im Jahr des (Renn-)Schweins!
Nach dem längsten Tag des Jahres – 31h – um 1:18MEZ wieder in der Heimat!
Und es war gut, dass der Lauftreff immer die tagesaktuellen China-Berichte bekam, was besonders Ringos und Katjas Wirken zu verdanken ist. So stand pünktlich eine Wagenkolonne bereit, um komfortabel die „letzte Meile“ zurückzulegen, dieses bei Internetanbietern wie Marathonläufern gleichermaßen gefürchtete Stück Weges.
Die gelungene Überraschung verwandelte schlagartig die Müdigkeit in den Gesichtern der heimkommenden Laufhelden in ein Siegerlächeln.
Aber der Reihe nach:
Ziemlich genau 2 Monate vorher, an einem der üblichen Trainingsabende, platzte die Bombe. Cheftrainerin Birthe wies spontan ein amtliches Schreiben des OBs vor, woraus hervorging, dass unsere Stadt eine repräsentativ aus Spitzen- und Breitensportlern zusammengesetzte Delegation zum „HEFEI INTERNATIONAL MARATHON“ entsenden wollte. Und als eher breite Vertreter des Laufsports waren Birk, Ringo und Jörg ausersehen, neben etlichen Spitzenläufern von Fiko und Trizack die ganze Bandbreite der Rostocker Laufszene zu repräsentieren.
Ein Angebot, zu dem man nicht Nein sagen konnte!
Dann lief Wikipedia erst mal heiß – denn a) wo und was zum Teufel war noch mal „Hefei“? Und b) gab es nähere Infos zu jenem Laufereignis?
Punkt a ließ sich relativ leicht klären: „befreundete Stadt“ von Rostock, Hauptstadt der Provinz Anhui, bedeutendes Entwicklungszentrum und Hightech-Hotspot von China.
Punkt b etwas schwieriger – die Marathon-Webseite nur in purem chinesisch erhältlich und auch mit Übersetzungsprogramm recht schwer verdaulich.
Zum Glück fand sich in einem Blog aus Columbus/Ohio (noch eine Partnerstadt von Hefei) ein Laufbericht von 2017. Und so erfuhren wir, dass mit einem VIP-Status zu rechnen war, was u.a. beeinhaltete, beim Start in der ersten Reihe neben den Top-Athleten platziert zu werden, welche den Streckenrekord knacken wollten!?
Eine gute Motivation, die verbleibenden Wochen für ein etwas verschärftes Training zu nutzen, nachdem die Formalitäten wie Reisepass und Visum in die Wege geleitet waren.
Bei den zwischenzeitlich anstehenden Wettkämpfen wie Dünenläufer und Rügenbrückenlauf zeigten sich die Kandidaten in einer befriedigenden Form, so dass der Abreise am 5.11. nichts mehr im Wege stand.
Und die Odyssee nahm ihren Verlauf.
Nach 26 Stunden, welche im ICE HRO-HH, in den Fliegern HH-FF, FF-Peking, Peking-Hefei und der standesgemäßen VIP-Wagenkolonne mehr oder weniger komfortabel verbracht worden waren, war die Athleten-Herberge, das Novotel-Hotel, endlich erreicht. Sehr günstig dicht am Start/Zielbereich gelegen.
Am nächsten Tag schon wurde uns, wie „befürchtet“, der VIP-Status zuerkannt. Die entsprechende Karte bekamen wir mit dem umfangreichen Racepack ausgehändigt. Mit unseren vielbeachteten VIP-Startnummern, die das Publikum zu manchen Selfie-Orgien herausforderten, rückten wir alsbald im Startbereich ein, um die erhaltenen Renngewänder standesgemäß mit unseren Namen in lateinischen und chinesischen Lettern bedrucken zu lassen.
Dort gab es eine „Wall of Fame“, auf der einen Seite die Portraits und Daten der Dutzenden Pacemaker (damit man sich den passenden schon mal merkt), auf der anderen Seite aber fand man in einem sehr erhebenden Moment unter den tausenden aufgedruckten Teilnehmer-Namen auch den eigenen vor! Das war schon mal eine gewaltige Motivation.
Jetzt blieben mehrere Tage zur mentalen und physischen Vorbereitung auf das Große Rennen. Unsere fürsorglichen Gastgeber boten ein umfassendes Kultur- und Besichtigungsprogramm auf, welches auch ausgiebig zum Schaulaufen mit dem Rostock&LAV-Outfit genutzt wurde.
Eine grandiose futuristische Architektur, über Land ein gewaltiges flächendeckendes Bauprogramm, wo Massen von jeweils architektonisch sehr durchdachten Wolkenkratzer-Inseln nur so aus dem Boden schießen.
Die Shopping Mall beim Hotel eine riesige überwältigende Glitzerwelt. Überall natürlich mit Handy zu bezahlen, bei Vorzeigen von Bargeld fällt man gelegentlich als eine Art Hobbit auf.
Auffallend die umfassende Elektromobilität, wenn auch viele der Gefährte einen skurrilen Steam-Punk-Eindruck verbreiten. Selbstverständlich in Unmengen an jeder Ecke zu mieten (wenn man denn die passende App auf dem Handy hat). Und der Count-Down an jeder Ampel trägt entscheidend zu einem stressgeminderten Fahren bzw. Gehen bei!
Natürlich wurde nicht versäumt, uns auch die jahrtausendalte Geschichte unseres Gastgeberlandes näherzubringen.
Bei den unabdingbaren morgendlichen Trainingseinheiten wurde die nähere Umgebung erkundet, ein Teil der Marathonstrecke schon mal vorgekostet.
Nach und nach füllte sich derweil das Hotel mit Athleten aus aller Herren Länder, darunter weitere VIP-Läufer u.a. aus Russland, Südkorea, Äthiopien, Marokko, Kenia, Japan und nicht zuletzt Columbus/Ohio, so dass man einen Dank in Richtung von deren Blog loswerden konnte.
Das Hotel bot eine sehr gehaltvolle und aufbauende Ernährung an und die Steigerung waren diverse abendliche Bankette am Runden Tisch. Einige der lokalen Delikatessen allerdings waren sehr speziell und man löffelte lieber geschickt darum herum.
Aber wem das Angebot nicht reichte, der konnte sich auch gut in der Mall oder an diversen Lokalitäten im Außenbereich bedienen.
Den Jetlag, den Kulturschock sowie die gehaltvolle Speisung ganz gut verdaut, begann der Eine Tag dann recht früh. Denn schon für 8:00 war der Start des „Half-„ und des „Full-„ Marathons angesagt, ganz sinnvoll bei den gar nicht herbstlichen Tagestemperaturen deutlich über 20°.
Nach einem die letzten Energiespeicher auffüllenden Läuferfrühstück war bereits um 6:50 Uhr die VIP-Zone im Start- und Zielbereich erreicht. Dort konnte man seine Carbo-Reserven weiter auffüllen, ein paar kleine Aufwärmrunden drehen, und die vorhandene Foto- und Video-Technik wurde massiv beansprucht.
Dann der Umzug in den eigentlichen Startbereich. Bei tosendem Lärm, durch sich öffnende Absperrungen, applaudierendes Publikum und ein Handy-Foto-Gewitter ging es in die Arena, den allerersten kleinen Elite-Startblock vor den restlichen ca. 18000 Marathon- und Halbmarathon-Läufern. Und ein paar Minuten lang hatten wir VIPs ein kleines Karree für uns und konnten zur Erbauung der Seitenlinien noch einige Elemente des Lauf-ABCs vorführen, oder gerne auch ein paar Kräftigungs- und Dehnungseinheiten. Ganz wie Gladiatoren, bevor die Löwen rausgelassen werden…
Und so ähnlich fühlte man sich auch – in der kritisch blickenden Menge der 2.-Welle-Starter standen bestimmt einige Tausend mit übertriebenen Vorstellungen von einer angemessenen Anfangsgeschwindigkeit für einen Marathon. Lieber ein bisschen an den Rand verdrückt…
Dann endlich die Startsequenz, angemessen dem 70. Jahrestag der “Peoples Republic Of China”. Rote Fahnen auf der Mega-Videoleinwand, Nationalhymne mit Pionierchor-Unterstützung, mitreißende Moderation.
Ein reizendes Nummerngirl machte die letzten 5 Minuten spannend, dann wurden die Begrenzungsbänder vor der fiebernden Meute weggezogen, die Zweite Welle rückte nach vorne und nach einem schmissigen Countdown ging es rasant los.
Zunächst waren die Ganzen und die Halben Marathonis gemeinsam unterwegs, ein gutes 10-km-Stück entlang des Chaohu-Sees hin und zurück. Zwischendurch war ein Straßentunnel zu durchqueren, und mancher Athlet musste den zeitweiligen GPS-Abriss seiner Laufuhr mental verkraften. Der Pulk aber war relativ locker, es gab eigentlich keine Drängelei. Nach 20 km dann ging es für die HM-Absolventen in die Zielgerade, während die Full-Marathonis in den Häuserschluchten eine zwar flache und eigentlich schnelle, aber mental überaus herausfordernde zweite Hälfte zu bewältigen hatten. Das lag nicht nur an den mittlerweile merklich gestiegenen Temperaturen, sondern vor allem an den unzähligen Wendepunkten, die an den Enden diverser Stich-Strecken zu umrunden waren.
Die nicht endenden Anfeuerungsrufe aus der überaus zahlreichen und begeisterten Zuschauerschaft aber trieben einen voran! Man konnte auf eine hervorragende Streckenbetreuung bauen – kühle Schwämme, Getränke und Häppchen aller Art, mitlaufende gut zu erkennende Sani-Trupps, reichlich Pacer. Gerne wurde einem auch zwischendurch mal der Puls gefühlt, während man sich die Waden mit etwas Aufbauendem einsprühen ließ.
Während die Marathonis ihre zweite Hälfte mehr oder weniger elegant abspulten, kamen die HM-Finisher auch nicht recht zur Ruhe. Bei zahlreichen Fototerminen und Interviews mussten sie sich und ihre silberglänzenden XXL-Medaillen präsentieren.
Und wer es als Marathon-Finisher dann endlich über die Ziellinie geschafft hatte, durfte sich sogar mit einem wahrlich schwer erkämpften in Gold strahlenden Exemplar schmücken.
Der Sieger aus Äthiopien lief hervorragende 2:10, wenn auch ohne den Streckenrekord von 2:08 knacken zu können.
Unsere Rostocker Spitzensportler gaben alles: Als beste Europäer kamen Carsten Tautorat (Fiko) und Hannes Fröck (Trizack) gemeinsam nach unter drei Stunden rein. Laura Michel (Trizack), war mit einer Zeit unter 3:14 beste europäische Läuferin. Der Ironman Martin Schütt (Trizack) finishte den Marathon mit 3:25 und schließlich Martin Schulz seinen “Halben” in knapp 1:30.
Die “Breiten” vom Lauftreff mussten sich aber auch nicht verstecken. Jörg lief mit 3:50 einen seiner besten (im Sinne von “fordernsten”) Marathons. Auch Birk und Ringo waren mit den 1:42 bzw. 1:46 über die Halbmarathondistanz recht zufrieden.
In feinem Zwirn, aber mit einem etwas seltsamen Laufstil wurde des Abends der Weg in den Saal bewältigt, in dem das offizielle Abschlussbankett stattfand. Wieder waren reich gedeckte Runde Tische abzuräumen.
Am letzten Tag unseres Aufenthaltes dann gab es einen Besuch in der sogenannten “3-Melonen-Kommune”, so eine Art Karls Erdbeerhof, nur mit Melonen.
Und nicht jeder konnte dort der Versuchung widerstehen, für seine arg (Halb-)Marathongeschädigten Gebeine eine futuristische Gehhilfe in Anspruch zu nehmen.
Am nächsten Tag dann hieß es Abschied nehmen, via Peking, München und Hamburg ging es Richtung Heimat. Zuerst fremdelte man ein wenig beim Aufenthalt in eher mittelalterlich anmutenden Baulichkeiten, aber als dann im Regionalexpress Richtung Rostock “Dat du min Levsten büst” gejingelt wurde und ein lustiges Moderatorenduo ein paar kurzangebundene Schnacks abließ, wußte man: Ahh, zu Hause..